...oder wie man vom Warmduscher zum Eistaucher wird. Teil 2
Plötzlich war dann wieder Ruhe und die Orcas verliessen die Szene. Der Heringsschwarm sank zurück in die Tiefe und ließ auf dem Schlachtfeld nur noch vereinzelte, ungefressene Opfer zurück.
Seltsam dachte ich und nutzte die Zeit mal nachzufühlen,wie ich mich nach 15 Minuten im kalten Wasser so fühlte. Cool wäre die falsche Beschreibung. Bis auf Finger, Zehen und kleinere Rinnsale kalten Wassers, die mir beim Abtauchen langsam den Rücken hinunterkrochen, fühlte sich alles recht komfortabel an.
Ein wahrlich kleiner Preis für das Privileg, solch einem Spektakel beiwohnen zu dürfen.
Und dann waren sie wieder da. Ein großer Bulle kam majestätisch und selbstbewusst langsam auf mich zu. Bevor er ganz an mir vorbei war, drehte er noch einmal den Kopf zu mir ein und schien mir zuzunicken. Gänsehaut!
Einige Tiere scheinen hier einfach ihr Ding zu machen. Ob du Mensch oder Möwe bist, macht keinen Unterschied. Andere wiederum schauen dich sehr genau an, während sie dich obendrein noch mit ihrer Echoortung „durchklicken“.
Wenn mir kalt gewesen wäre, hätte ich es bei diesem, allerspätestens aber beim nächsten Erlebnis vergessen.
Im Glauben die Szene wäre vorüber, wollte ich die Aufnahme stoppen. Gerade als mein Daumen begann den Knopf durchzudrücken begann die Zeit einerseits in einer extremen Zeitlupe abzulaufen, andererseits schien sie sich selbst überholen zu wollen. In dem Moment, als der Knopf das Stopsignal an die Kamera übermittelte, begann ein Schwarm Heringe das Fliegen lernen zu wollen. Noch bevor ich „Shit“ denken konnte und das Abschalten der Kamera nicht mehr stoppen konnte, drückte ich wieder den Aufnahmeknopf. Wie die Kamera meine Anweisungen interpretieren würde, wusste nur der Geier und sie selbst. Die Heringe mussten mittlerweile Richtung Alpha Centauri unterwegs sein und ich wäre Ihnen gern durch ein Wurmloch gefolgt, als ich zu realisieren begann, dass es sich bei dem, was sich da auf mich zubewegte, um den offenen Rachen eines Finwals handelte. Dünner Hering hatte man mich in meinem Leben schon oft genannt, aber noch nie hatte ich mich selbst tatsächlich so sehr als einen wahrgenommen, wie in diesem Augenblick.
Das ist natürlich gelogen, denn in diesem kurzen Moment gab es keinen Platz für Gedanken oder Interpretationen. Es gab keine Zeit zum Staunen oder sich zu ängstigen. Als der hinterher galoppierende Geist dann irgendwie zu dem Geschehen aufschliessen konnte, war es auch schon wieder vorbei.
Wo gerade noch Heringe waren, schwamm ich jetzt in einem Schwarm von Fragezeichen, inmitten eines Meeres der Sprachlosigkeit.
Unser Skipper Emanuel, der das Ganze vom Boot aus beobachten konnte, erzählte uns später, dass sich der Wal sich genau zwischen Michael auf der einen Seite und Raphael und mir auf der anderen Seite, mit offenem Maul aus dem Wasser schraubte. Auf der Welle die er dabei erzeugte, surften wir ungewollt von ihm weg. Viel Platz war nach Emanuels Aussage nicht zwischen Wal und uns. Umso erstaunlicher ist es, dass uns nicht eine der über 40 Tonnen Wal gestreift hat.
Zugern würde ich wissen was die Wahrnehmung des Wals war. Hat er uns wahrgenommen und ist er bewusst ausgewichen, oder hatten wir einfach nur Glück?
Hier ist zu sehen was meine Kamera dann tatsächlich aufgezeichnet hat:
So, die ersten 20 Minuten im kalten Wasser der Fjorde waren vorüber und ich fragte mich was jetzt eigentlich noch kommen sollte. Kaum zu Ende gedacht raste unerwartet und fast ungesehen, ein Buckelwal von hinten kommend an uns vorbei.
Eins wurde mir klar, wenn man hier im Wasser ist, hat man keine Chance vorherzusehen von wo sich das nächste Fressgelage nähert. Sicherlich von irgendwo da unten, wo die Heringe im dunklen Wasser schimmern. Aber wenn die das Fliegen lernen wollen, kann man eigentlich nur noch auf die Wale hoffen, dass sie es zu vermeiden verstehen, sich an einem falschen Hering zu verschlucken.
So verbrachten wir die nächsten sechs Tage. Etwas weniger spektakulär, aber jede Begegnung mit einem Tier ist einmalig und unvergleichlich. Von oberflächlichen Begegnungen im Vorbeischwimmen, bis zu Momenten in denen einem die Tränen vor Glück in den Augen standen.
Ich war überrascht zu sehen, wie viele Boote sich in den nächsten Tagen zum Whale watching hier in den Fjorden einfanden. Manchmal schien es so, als würden die Tiere sich gestresst fühlen. Statt sich ganz auf die Jagd konzentrieren zu können, mussten sie auch noch darauf achten nicht mit Booten zu kollidierten. Kaum hatten sie sich von einem Pulk Boote befreit, näherte sich schon die nächste Armada.
Das ist die andere Seite, des sonst positiv zu bewertenden Trends, dass immer mehr Menschen sich von der Natur und ihren Schauspielen so angezogen fühlen. Menschen, die ihren unschätzbaren Wert erkennen und die Bereicherung, die Erlebnisse in der Natur für ihr Leben darstellt.
Sie sind es, die zu Botschaftern für die Natur werden. Die sich gegen die Zerstörung der natürlichen Lebensräume von wilden Tieren stellen und sich für ihren Schutz einsetzen.
Diese Art des Tourismus verändert nicht nur etwas im Bewusstsein derer, die dafür Geld bezahlen, sondern ins-besondere auch bei denen, die es damit verdienen (können).
Norwegen ist (noch) eine Walfangnation. Trotz dem das Fischereiministerium die Quoten erhöht, werden immer weniger Wale gefangen. Noch steht Walfleisch auf der Speisekarte einiger Restaurants und wird auf Märkten sogar als Souvenir verkauft. Aber der Widerspruch mit Walfang und Waltourismus gleichermassen Geld zu verdienen, wird auch den Norwegern langsam bewusst.
Ob es nun Waltourismus, Tauchtourismus oder eine andere Art des Naturtourismus ist, die Dosis und die Herangehensweise macht den Unterschied. Sollten wir den Tieren einen gewissen Stress zumuten, um langfristig mehr und mehr Fürsprecher, Unterstützer und Fans für sie zu gewinnen? Ich denke ja, aber mit Augenmass und (Selbst)Verantwortung. Je mehr wir uns in der Natur aufhalten, über sie lernen und das staunen dabei nicht verlernen, desto mehr wird uns bewusst, dass wir ein Teil von ihr sind und dass wir ohne sie NICHTS sind.
Wie so oft macht es die Balance und der kritische Blick in den Spiegel, den man sich ohne Schleier öfter mal stellen/gönnen sollte.
ENDE